Stürmischer Empfang

Von Kiel nach Lorient – stürmischer Empfang

Sonntag, 4. Juni

In den frühen Morgenstunden haben wir das westliche Ende des TSS1 erreicht und können auf Backbordbug bei 3-4 Bft. nach Südwesten in Richtung Cap de la Hague segeln.
Der Wind nimmt immer weiter ab bis wir – die normannische Küste bereits am Horizont sichtbar – komplett in der Flaute landen. Im Gegenstrom können wir kaum unsere Position halten, zeitweise geht es sogar wieder etwas ostwärts.
Die Landnähe ermöglicht es, dass wir uns die neuesten GRIB-Wetterdaten laden können. Über das Mobilfunknetz sind selbst hochaufgelöste Windmodelle kein großes Problem. Unsere bisherigen Vorhersagen für die kommenden zwei, drei Tage werden bestätigt: Es kommt Wind. Und zwar ordentlich. Am Montag soll der Südwestwind bis auf 35 kn zunehmen und auf Südsüdwest drehen, um dann gegen 22 Uhr binnen kürzester Zeit auf Nordwest zu drehen. Das europäische ECMWF und das französische Arpège-Wettermodell weisen kaum Unterschiede auf. Wir lassen für beide Modelle verschiedene Routings rechnen. Als Zwangspunkt habe wir noch das TSS1 nordwestlich vom Cap de la Hague und die britischen Kanalinseln. Eine Passage zwischen normannischer Küste und Kanalinseln schließen wir bei den in Aussicht stehenden Wetterbedingungen aus, obwohl dieses Routing uns unter Landschutz bringen würde, solange es Südwestwind gibt. Bei der Überführung der Frida vor zwei Jahren von Lorient nach Kiel haben wir in dieser Gegend bei deutlich ruhigeren Wetterbedingungen bereits die Bekanntschaft mit den Tidal Races – den durch Untiefen und starken Gezeitenströmungen erzeugten Flutwellen – gemacht. Das müssen wir nicht nochmal haben.
Außerdem müsste es eine ziemliche Punktlandung werden, um den Nordwestwind auf dieser Route optimal zu erwischen. Kommt dieser zu früh – oder wir zu spät -, müssten wir im schlimmsten Fall noch richtig kreuzen, um uns von der Küste und der Insel Ouessant freizuhalten.

Unsere geplante Route führt uns also auf Steuerbordbug dicht südlich am TSS1 vorbei, solange wie möglich hoch am Wind und mit möglichst direktem Kurs Richtung Ouessant nach Westsüdwest. Das gibt uns die Option, etwas abfallen zu können, wenn es erforderlich sein sollte, um dem Nordwestwind entgegenzufahren. Im Prinzip ist es das Wichtigste, dass wir noch mit dem Südwestwind so weit wie möglich nach Westen kommen, um dann mit dem Winddreher zu wenden.
Wir präparieren die Frida für die kommenden 48 Stunden, scheren das 2 Reff ein und gönnen uns abwechselnd noch so viel Schlaf wie möglich.

Montag, 5. Juni

Bei Sonnenaufgang sind wir nördlich von Guernsey. Noch sind es 4-5 Bft. und wir kommen wie geplant gut voran. In den folgenden Stunden frischt der Wind weiter auf und wir wechseln auf den Solent, kurze Zeit später sind schon zwei Reffs im Großsegel angebracht. Als der Wind dauerhaft mit 30 kn bläst, reffen wir den Solent. Am späten Nachmittag orgelt es durchweg mit 8 Bft. Wir bergen den Solent und segeln nur mit Großsegeln Kurs West. Ab und an messen wir Böen mit über 40 kn. Die Frida meistert die Bedingungen hervorragend, trotz der chaotischen See.

Am Abend stellen wir fest, dass sich einige Rutscher am Vorliek des Großsegels verabschiedet haben. Schnell setzen wir den Solent und bergen das Groß. Gerade noch rechtzeitig. Beim Bergen gehen weitere Rutscher kaputt und kurzzeitig wird es kritisch: Es droht ein “Reißverschlusseffekt” einzutreten, bei dem sich das schlagende Segel komplett vom Mast lösen könnte. In letzter Sekunde können wir das Tuch unter Kontrolle bekommen und sorgfältig festlaschen.
Der gereffte Solent ist mehr als ausreichend. Mit einem Schrick in der Schot laufen wir immer noch 7 kn. Bei der hohen See ist das schnell genug. Frida wird mehrmals übel durchgeschüttelt, wenn uns ein Brecher erwischt oder wir in eines der urplötzlich in der Kreuzsee auftauchenden “Wellenlöcher” stürzen.

Gegen 22 Uhr dreht wie vorhergesagt der Wind auf Nordwest. Allerdings ohne zwischendurch abzuflauen. Binnen einer halben Stunde ist aus dem Südsüdwestwind ein Westnordwestwind geworden. Es geht erneut ordentlich zur Sache. Windgeschwindigkeiten um die 37-40 kn sind keine Seltenheit. Dazu kommt, dass die See, die der stürmische Südwest aufgebaut hat, noch vorhanden ist und nun noch der Nordwest seinen Anteil beisteuert.
Die ganze Nacht ist ein “Rodeoritt”. Glücklicherweise müssen wir nicht hoch am Wind segeln, sondern können halbwinds die Wellen aussteuern. Einige Brecher erwischen uns aber doch. Ein nasskaltes “Vergnügen”.

Dienstag, 6. Juni

Bei Sonnenaufgang passieren wir Ouessant. Langsam lässt der Wind auf 6-7 Bft. nach. Bei der Ansteuerung des Pointe du Raz passiert uns ein peinlicher Fehler. Nachlässigerweise haben wir auf das Ar’Men-Seezeichen zugesteuert. Bei den rauen Bedingungen müssen wir aber zwingend am westlichsten Ende der Chaussée de Sein – dem unreinen Gebiet westlich des Pointe du Raz – passieren. Das ist ärgerlich: Ohne Not sind wir zu weit abgefallen und können nun die westliche Untiefentonne des Chaussée de Sein nicht mehr anliegen. Wir müssen uns Richtung Norden nochmal freisegeln und haben zwei Stunden später gegen 11 Uhr die Untiefentonne passiert.
Endlich können wir nach Südosten, mit fast direktem Kurs auf Lorient, abfallen. Lediglich die Iles de Glénan müssen wir noch seeseitig runden.

Zeit, sich um das Schiff zu kümmern. Beim Öffnen der Cockpitklappe für die Rettungsinseln schwappt uns jede Menge Wasser entgegen. Nach kurzer Suche ist die Ursache geklärt: Ein Entwässerungsschlauch ist vom Bordwanddurchlass abgerissen und es sprudelt jedes Mal, wenn das Heck von einer Welle erfasst wird, Wasser ins Boot. Fender, Festmacher, Grabbag … alles schwimmt umher und hat sich ziemlich vertörnt. Die Reparatur ist schnell gemacht, das Aufklarieren dauert allerdings einige Zeit.

Wir reffen den Solent aus und segeln ganz entspannt Richtung Lorient. Zeitweise begleitet uns eine Delfinschule. Gegen 23 Uhr erreichen wir die Ansteuerung der Hafeneinfahrt und machen schließlich kurz vor Mitternacht im Port du Kernèvel fest.

Salut Lorient!


  1. Traffic Separation Scheme = Verkehrstrennungsgebiet ↩︎

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