5. Tag auf See, 21. Juli
Wieder ein Segeltag ‚down the line‘. Leider ist die See recht chaotisch, so dass das aufmerksame Steuern bei schwächelndem Wind sehr anstrengend ist. Die starken Schiffsbewegungen durch die kreuz und quer laufenden Wellen machen ein stabiles Stehen des Spinnakers fast unmöglich. Das Schiff in Fahrt zu halten ist unter diesen Bedingungen das Schwierigste. Anluven, Geschwindigkeit aufbauen, langsam mit dem scheinbaren Wind abfallen und so lange wie möglich max. VMG segeln, bis die nächste Welle, der nächste Winddreher oder aber auch ein Steuerfehler die Strömung abreißen lässt. Das ganze Prozedere von vorne …
Mit dem Autopilot kann man – besser gesagt wir – unter diesen Bedingungen nicht schnell segeln. So vergeht Stunde um Stunde am Steuer. Nachts beschränkt sich dabei das Sichtfeld auf die drei LED-Anzeigen am Mast: Heading, TWA, BS, die Anzeigen an der Kajütrückwand: TWS, TWD, VMG und den Spinnaker – schwach beleuchtet durch das Positionslicht im Masttop.
Der ‚Sensor‘, um die von achtern heranrollenden Wellen zu antizipieren, ist das eigene ‚Hinterteil‘ und das Gehör. Nach den vielen Stunden auf See hat man inzwischen ein Gefühl für die Größe und Richtung der Wellen, die Reaktion des Schiffes und die entsprechend erforderlichen Ruderbewegungen. Macht man das über Stunden, hat es eine fast hypnotische Wirkung, die Steuerbewegungen erfolgen nahezu automatisiert und man kann in Gedanken versinken.
Unsere Route führt weiterhin möglichst tief, ‚links vom Kurs‘ Richtung Südwesten. Am späten Nachmittag frischt der Wind wieder auf 20-25 kn auf und macht das Fahren auf tiefen Raumschotkursen einfacher.
6. und letzter Tag auf See, 22. Juli
Unsere letzten Stunden beginnen mit einer milden, sternenklaren Nacht. Es ist überwältigend, wie ‚tief‘ man mit dem bloßen Auge ins Universum blicken kann, wenn es keinerlei Lichtverschmutzung gibt, Die Milchstraße bildet sich klar am Himmel ab, die Sternzeichen, sofern man sie kennt, sind gut erkennbar. Die leichten und unsteten Winde lassen erneut keínen Einsatz des Autopiloten zu, und so wechseln wir im Zwei-Stunden-Rhythmus den Rudergänger durch und genießen jeden Augenblick trotz Müdigkeit und Routine.
Morgens müssen wir den S2 bergen, ein kleines Dreieck ist eingerissen und muss geflickt werden. Wir setzen den S4 und wechseln nach erfolgter Reparatur wieder auf den S2. Eine schweißtreibende Angelegenheit … und das mit zu wenig Schlaf und ohne Frühstück.
Wir haben nach wie vor die mitteleuropäische Sommerzeit als Bordzeit. Auf 13° West stimmt die natürlich überhaupt nicht mehr, aber auch auf Madeira sind es lediglich eine Stunde Zeitverschiebung gegenüber der Zeit in Deutschland. Das heißt, die Abende sind für uns lange hell, der Sonnenaufgang allerdings erst spät: gegen 7:30 Uhr.
Die Passage der Madeira vorgelagerten Insel Porto Santo bestimmt die letzten 100 Seemeilen. Wir wollen die Insel südlich passieren. Bei den vorherrschenden Nordnordostwinden müssen wir also notgedrungen durch den Windschatten der über 500 m hohen Insel. Die Frage ist, wie weit südlich müssen wir bleiben, um nicht im Windschatten hängen zu bleiben – 5, 10, 20 Seemeilen?
Wir holen uns nochmal die neuesten GRIB-Dateien eines hochaufgelösten Wettermodells, aber letztendlich ist kein signifikanter Unterschied in den gerechneten Windvorhersagen erkennbar. Also segeln wir nach Gefühl mit ca. 5 Seemeilen Abstand an der Insel vorbei. Wohl doch etwas zu nahe, südwestlich spüren wir den Windschatten deutlich. Glücklicherweise nur für ca. eine Stunde. Danach geht es um so flotter bei kräftiger Brise auf einem spitzen Raumschotkurs mit 10-12 kn gen Ile de Fora – dem östlichsten Zipfel Madeiras.
Auf Höhe der Ile de Fora nehmen wir den Spinnaker weg und segeln bei extrem böigen Bedingungen am Wind auf die Südmole des Hafens von Quinta do Lorde zu. Die Be Happy – eine solo gesegelte Sunfast 3600 – gesellt sich noch zu uns. Chapeau!
19:14:49 Uhr MESZ überqueren wir die Ziellinie.
Herzlichen Glückwunsch zum heil überstandenen Zieleinlauf und viel Spaß auf Madeira! Der Blog las sich spannend! Viele Grüße aus dem Hamburger Büro C. Napp