Von Kiel nach Lorient – Halbzeit, wir passieren Dover

Freitag, 2. Juni

Abends kündigt sich am Horizont bereits ein Wetterumschlag an. Die Wolkendecke sieht nach Regen und Gewitter aus. Wir lassen den A5 oben, solange es noch geht, und versuchen, in Richtung Westen durch die Wetterfront hindurchzukommen. Leider gelingt uns das nicht. Der Wind dreht ständig.
Schließlich finden wir uns die ganze Nacht zwischen Gewitterzellen wieder. Erfreulicherweise nicht direkt in einer solchen, aber es gibt reichlich Regen. Der Wind schwankt zwischen 2-6 Bft. und es ist lausig kalt.
So geht es bis zum Morgen entlang des TSS1 Richtung Südwesten. Tim kann in seiner Wache noch weite Strecken den A5 fahren. Doch auch das geht schließlich nicht mehr, der Wind wird zu spitz.

Samstag, 3. Juni

Die Morgensonne bringt wieder etwas Wärme in unsere Glieder. Das Gewitterroulette in der Nacht kostet uns fast die mitlaufende Tide in Richtung Dover. Gerade so rutschen wir noch zwischen Calais und Dover mit durch, bevor der Strom kentert.
Inzwischen hat der Wind auf 6 Bft. zugenommen. Die See ist sehr ruppig. Frida wird ordentlich gebeutelt. Wir binden ein Reff ins Großsegel und in die Genua (für die Überführung haben wir die Tourengenua aus Hydranet mit Reffmöglichkeit im Einsatz). Beim Passieren der Hafeneinfahrt vor Dover gibt es den üblichen Stress mit den Fähren, die in kurzem Takt und ziemlich schnell ein- und auslaufen. Auch hier ist das AIS eine große Hilfe, da es die Kurse und Geschwindigkeiten anzeigt.

Die Frida kämpft sich jetzt gegen den Strom durch die Wellen. Plötzlich ein lauter Knall, ein erschrockener Blick ins Rigg: Das Vorliek des Großsegels ist einen halben Meter durchgesackt, aber das Fall ist noch ganz.
Das Lashing des Umlenkblockes am Mastfuß ist gebrochen. Wir bergen das Großsegel, um den Schaden reparieren zu können. Beim Umschäkeln des Großfalls zur Dirk passiert es: Das Fall rauscht aus und weht unerreichbar nach Lee aus. Zu guter Letzt rutscht es auch noch Stück für Stück nach oben, bis es sich schließlich im Masttopp um das Achterstag wickelt. Ohne dass jemand in den Mast steigt, bekommen wir das Fall nicht wieder herunter. Wir beschließen, Landschutz in der Bucht östlich von Dungeness Point zu suchen.

Nur mit Vorsegel geht es also weiter westwärts. Dann das nächste ungewöhnliche Geräusch: Ein Helikopter der Coast Guard bringt sich in ca. 25 m Höhe in Position. Etwa 30-40 m in Luv achteraus, die Helikopternase leicht von uns weggedreht, so dass die Mannschaft einen optimalen Blick aus der hinteren Tür auf uns hat.
Über Funk werden wir gefragt, ob wir als Übungsobjekt herhalten würden. Warum nicht!? Der Heli macht es sich mal hinter uns, mal direkt über uns bequem. Vermutlich sind es 20-25 m, doch gefühlt rasiert der Heli fast unseren Mast. Es ist höllisch laut. Trotzdem ist es beeindruckend anzusehen, wie ruhig uns der Hubschrauber bei den böigen Bedingungen folgt.
Vom Downwash (dem Abwind des Rotors) ist tatsächlich an Bord nichts zu spüren. Man kann ihn deutlich als aufgeraute Wasserfläche etwas in Lee achteraus sehen.
Nach 20 Minuten ist genug geübt. Der Pilot bedankt sich bei uns über Funk. Dann verschwindet der Helikopter.

Glücklicherweise ist die See unter Land tatsächlich ruhig genug, um gefahrlos in den Mast zu steigen. Nach zwei Stunden sind wir wieder einsatzfähig. Da bekommen wir erneut Besuch: Ein RIB des Range Safety kommt in Rufweite und nimmt Kontakt per UKW mit uns auf. Wir werden darüber informiert, dass wir hier nicht bleiben können. Rund um das Kernkraftwerk auf dem südlichen Zipfel der Landzunge ist eine Bannmeile eingerichtet. Offensichtlich eine Reaktion auf die Terrorbedrohungen der letzten Zeit.

Gegen 20 Uhr verlassen wir die Bucht. Der Wind hat etwas abgenommen, aber die See ist nach wie vor ruppig. Unter Genua und gerefftem Groß kreuzen wir zwischen englischer Küste und TSS1 westwärts. Erstmalig gibt es Tütennahrung als Hauptmahlzeit: Spicy Chicken & Rice. Die Nacht ist sternenklar. Wir steuern genau in den Mondschein, der sich im Wasser spiegelt. Herrliches Segeln.


  1. Traffic Separation Scheme = Verkehrstrennungsgebiet ↩︎

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